Zurück in die Zukunft!
Wie der Mittelstand einen eigenen Weg in die Zukunft finden kann. Artikel von Tobias Rappers.
Article | 28.09.2020
Mit digitalen Labs, Inkubatoren und viel Risikokapital versuchten deutsche Konzerne in den letzten Jahren einen eigenen Weg in die Zukunft zu finden. Allerdings ist die Zwischenbilanz dieser Innovationseinheiten mindestens optimierungsbedürftig. Es fehlt an Stringenz, die Innovationen entlang der Vielzahl an Möglichkeiten wirken beliebig. Die Erkenntnis zur eigenen Transformation ist zwar da, doch werden die Initiativen vielerorts eher als Digitalisierung um der Digitalisierung Willen verstanden und nicht als Mittel zum Zweck: die Transformation des Kerngeschäfts und der Organisation. Die große Frage lautet deshalb: Wie kann die erfolgreiche Transformation der deutschen Wirtschaft gelingen?
Ein entscheidender und wichtiger Umstand bei all den bisherigen Digitalisierungsvorhaben: Die Konzerne agierten oftmals alleine – vielmals sogar innerhalb der Organisation unabgestimmt und in Allianzen gegeneinander anstatt miteinander. Jeder für sich ein vermeintlicher Pionier ohne Blaupause und ohne Erfahrungen auf denen aufgebaut werden kann, auf der Suche nach dem goldenen Weg, um die Transformation der Organisation zu meistern und gleichzeitig neue Geschäftsbereiche zu entdecken. Es bestand die Hoffnung, dass die Transformation ein einmaliger Kraftakt sei, die mit dem notwendigen Ressourcen- und Finanzmitteleinsatz geschafft werden könnte. Ein Hebel, den man einmal umlegt. Eine Organisation, die man einmalig updatet.
Es geht um mehr als die einmalige Digitalisierung der Unternehmung
Mittlerweile ist jedoch klar: die Transformation ist eine gewaltige Aufgabe, keine einmalige Anstrengung, sondern ein kontinuierliches Unterfangen. Unternehmen müssen sich in immer kürzeren Abständen anpassen, um Schritt zu halten; neue Strukturen schaffen, um effizient auf neue Wettbewerbsbedingungen zu reagieren; die richtigen Technologien antizipieren, um auch in Zukunft Innovationen voranzutreiben. Phänomene wie künstliche Intelligenz werden das Innovationstempo weiter beschleunigen. Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Generationengerechtigkeit oder neuer Arbeitswelten potenzieren die Dimensionen nochmals. Wandel ist die einzige Konstante des heutigen Unternehmertums. Die Fähigkeit, Unternehmensaktivitäten immer wieder neu auf sich rasch ändernde Rahmenbedingungen auszurichten, ist in Zukunft wichtiger denn je. Die Art der Anpassung auf sich verändernde Kontexte darf dabei aber niemals beliebig sein, sondern muss stets das Wesen des Unternehmens erhalten und den Menschen mitnehmen. Es gibt keine Zukunft ohne Herkunft.
Gleichzeitig wird es für eine einzelne Organisation aufgrund der zunehmenden Komplexität und Geschwindigkeit immer schwieriger, diese neuen Erfahrungen ausreichend schnell und umfassend zu sammeln, die für die Zukunftsfähigkeit der Organisation vonnöten sind. Der deutsche Mittelstand bringt zwar die Bereitschaft zu Weiterentwicklung mit, wird sich kostspielige Experimente oder große R&D-Budgets auf Dauer nicht leisten können oder wollen. Durch die wirtschaftlichen Konsequenzen der Corona Pandemie besteht zugleich die Gefahr, dass an der ganzheitlichen Transformation gespart und der Anschluss an Zukunftsfeldern und Schlüsseltechnologien verpasst wird. Das wäre fatal, hat uns die Krise doch gezeigt, dass sowohl überalterte Geschäftsmodelle als auch nicht digitalisierte Kernprozesse keine Chance haben. Der Mittelstand muss deshalb jetzt agieren und seinen eigenen, einen kooperativen und ressourcenschonenden Weg für und in die Zukunft finden.
Kooperation als Zukunftsmodell für Familienunternehmen
Eine neue Art der Transformation durch Kooperation könnte im Mittelstand besonders gut gelingen, weil familiengeführte Unternehmen über ein ähnliches Mindset sowie über ähnliche Strukturen verfügen. Sie denken vor allem langfristig, also nicht in Quartalszahlen, sondern eher in Familiengenerationen. Das äußert sich auch in ihrer geringen Fluktuation, der hohen Vertrauenskultur und ihren engen und langfristigen Beziehungen zu Kund*innen und Lieferant*innen.
1. Sich vernetzen, um sichtbarer zu werden
Ein Zusammenschluss von Familienunternehmen hätte erstens den Vorteil, dass der Mittelstand als Hidden Champion und Rückgrat der deutschen Wirtschaft die eigene Sichtbarkeit und Attraktivität gegenüber den so dringend benötigten jungen Talenten erhöht. Der Mittelstand kann im globalen Wettlauf um Innovation und Talente nur wettbewerbsfähig bleiben, wenn er selbst die Scheuklappen absetzt und zum Zweck der eigenen Weiterentwicklung alte tradierte Muster durchbricht und aus Wettbewerber*innen Partner*innen macht. Denn genau das war seit jeher einer der großen Vorteile des Mittelstands: Dessen Stärke beruht nicht auf der Dominanz einzelner Unternehmen, Branchen oder Wirtschaftsregionen – sondern auf der Vielfalt kleiner, mittlerer und großer Unternehmen.
2. Gemeinsam Wissen aufbauen durch das Teilen von Erfahrungen
Zweitens sehen wir, dass alleine auf weiter Flur am Puls der Zeit zu bleiben sich als ein hoffnungsloses Unterfangen erweist. Das kontinuierliche Verstehen und Orientieren in neuen Kontexten, das Aneignen von neuartigen Kompetenzen sowie das Ablösen veralteter und die Auswahl neuer Tools und Routinen ist teuer. Mehr noch, im Zeitalter der Digitalisierung entstehen Innovationen in Zukunft über Industriegrenzen hinweg. Neue Themen müssen erlebt werden, um sie zu verstehen und zu akzeptieren. Denn sie bewegen sich mit einer solchen Geschwindigkeit, dass man sie nicht mehr in Büchern wird nachlesen können. Das erfordert Austausch. Eine strukturelle, inhaltliche und industrieübergreifende Vernetzung mit Fachabteilungen anderer Unternehmen und externen Akteuren bietet die Möglichkeit, ein langfristig orientiertes adaptives Ökosystem, das Impulse von außen in die jeweiligen Organisationen hineinträgt, aufzubauen. So können gemeinsam größere Erkenntnisräume geschaffen und genutzt werden – die Erfahrungen des Einzelnen werden zum Wissen aller.
3. Gemeinsam auf Ressourcen und Fähigkeiten zugreifen, um Ideen schneller umzusetzen
Drittens zeigt sich gleichermaßen auch, dass es nicht nur an der fehlenden Erkenntnis zur Transformation, sondern eben oftmals auch an der Umsetzung von neuen Entwicklungsideen scheitert. Es fehlen die Fähigkeiten und personellen Ressourcen, die der Mittelstand aufgrund seiner fehlenden Anbindung an digitale Ökosysteme nicht hat. Man kann diese Fähigkeiten zwar alleine aufbauen – die Chancen, dass dies in Anbetracht der sich immer schneller verändernden Umwelt rechtzeitig geschieht, sind jedoch verschwindend gering. Umso notwendiger ist es, Teil eines adaptiven Ökosystems zu sein, das auf bereits vorhandene Erfahrungen aufbaut. So werden die Transaktionskosten demokratisiert und neue Wissensstrukturen aufgebaut, die dem gesamten Netzwerk zu Gute kommen. Der Vorteil: Mit steigender Anzahl an mutigen und zukunftsorienterten Unternehmen steigt auch der der individuelle Nutzen der Teilnehmer*innen, weil der Erfahrungs- und Wissensschatz sukzessive zunimmt. Das Netzwerk fungiert als eine Art geteiltes Adressbuch mit Umsetzungspartner*innen und einem Werkzeugkasten mit Tools, die die Resilienz des eigenen Unternehmens fundamental erhöhen.
Der Mittelstand sollte sein Gewicht gemeinsam in die Waagschale werfen
Die Antwort, wie der Mittelstand sich an die neuen Realitäten anpassen kann, lautet deshalb: gemeinsam – mithilfe von schnelleren, aber risikoärmeren und fundierteren Entscheidungen bei gleichzeitig geringerem Mitteleinsatz. Unternehmen innerhalb eines gemeinsam kreierten, adaptiven Ökosystems können leichter und fluider Chancen ergreifen und Wissen generieren als starre, singuläre Unternehmensorganisationen mit proprietären Wissensstrukturen.
Gelingt dem Mittelstand dies auf absehbare Zeit, hat er die Möglichkeit, als Rückgrat der deutschen Wirtschaft, Katalysator des industriellen Wandels zu sein. Die große Herausforderungen besteht darin, in einem innovativen Umfeld Chancen nicht nur zu identifizieren, sondern sie auch ergreifen zu können. Das alles ist möglich, wenn der Mittelstand auf dem Weg der Anpassung neue Wege der Zusammenarbeit geht: Einen Weg, der mehr Mut und Offenheit zu Innovation durch Kooperation erfordert.